„Hätte der Mädchenhaarbaum Blumen, trüg’ er sie blond“ 

Vernissageansprache

von Erwin Hofstetter

Ein paar Gedanken zum Aufwärmen.

Wer jetzt unterwegs ist, dem begegnen sie: die Fühlerbündel, Raumgreifer, Tasttentakel,-­‐ buschig oder baumig – filigran und gleichzeitig dicht. Stellenweise so dicht, dass sich die durchstreifenden Körper aufzulösen scheinen, ihre Formen im Dämmer-­‐ oder Gegenlicht anscheinend Lust verspüren, in diesem Gewirr sich zu verlieren.

Vielleicht trägt der Hirsch sichtbar auf dem Kopf, was wir in uns tragen: Diese über die Kontur unseres Körpers hinausführende Antenne, welche uns die Möglichkeit eröffnet, unsere Fassung verlassend in andere Räume hinüber zu wechseln.

Es kann schon mal vorkommen, dass wir dort hängenbleiben. Wenn Hirsch-­‐ geweih sich im Unterholz hoffnungslos verfängt, wird uns dies konkret vor Augen geführt.

Manche mögen darob zurückschrecken und den Versuch eines Ortswechsels gar nicht erst unternehmen wollen. Andere jedoch, und zu ihnen zählt Monika Feucht, wagen wiederholt diese Grenzüberschreitung.

Was wir hier in den Galerieräumen zu sehen bekommen, sind ihre visuellen Berichte aus dem No Man’s Land diesseits und jenseits der Grenzzone. Können wir ihnen trauen? Wir begegnen einer Trophäe ohne Hirsch, einem Fellbalg in Kleidform, dichten plastischen Formen gebaut aus feinsten Haarlinien, Körpern reduziert auf Flächen, erhaschten Gedankenkolibris. Ein Verwirrspiel das Ganze? Oder gekonnte Verschränkung von Elementen verschiedener Herkunft zu vermeintlich harmlosen Bildern?

Lassen Sie mich mit dem Naheliegenden beginnen: Wir alle, mehr oder weniger behaart, haben unseren jeweils persönlichen Umgang mit diesem Körperbewuchs. Allgemein lässt sich sagen, dass eine kulturell bedingte Achtsamkeit uns verbietet, diesem unserem Produkt keine Aufmerksamkeit zu schenken. Bemerkenswert scheint mir der Umstand, dass es sich hierbei um ein Grenzproblem, um eine Konturfrage handelt. Die Linie, welche die äussere Begrenzung meiner körperlichen Präsenz ausmacht, wird in mehr oder weniger neckischer, ungebührlicher oder gezähmter Weise durchbrochen von eben diesem, in Vielzahl vorhandenen Haar.

Monika Feucht kümmert sich darum. Als bildnerisches Grundelement dient ihr die Haarlinie zur Grenzziehung und zum Aufbau innerer Struktur. Darüber hinaus pflegt sie den Umgang mit Haaren als Bestandteile von Objekten. Hier liesse sich ein ganz grosses Fass anstechen! Haarwuchs und Vitalität sind aufs engste miteinander verwoben, abgeschnittenes Haar bleibt, zumal zum Zopf geflochten, Träger dieser Lebensenergie. Kunsthaar und Echthaar sind nicht miteinander zu vergleichen!

Also, wo bin ich stecken geblieben – wo ist denn eigentlich der Hirsch geblieben? Wenn er hier als Trophäe an der Wand hängt, erzählt dieses Stück wie alle Trophäen von einer Begegnung. Da geht jemand hinaus in die unbekannte, gefährliche Zone, ängstlich vielleicht, aber gleichzeitig fasziniert, trifft da den Hirsch, streckt ihn nieder, bringt ihn präpariert nach Hause und hängt ihn zum fortdauernden Andenken an dieses Ereignis an die Wand. Zur Erinnerung und zur Aufrechterhaltung des dreifachen Schauers ausgelöst durch das Sakrileg dieser Tötung in der fremden Zone, diese die menschliche Beschränktheit überschreitende Anmassung und den Genuss derselben – ein Siegeszeichen. Aber wo Hirsch sein sollte, ist hier goldene Lücke, um sie rum wogt knäueliges Lineament. Also doch keine Trophäe?

„homme e(s)t bête“ – Tier und Mensch gleichgesetzt oder miteinander verbunden als sich gegenüberstehende Wesen. Eine uneindeutige Botschaft hervorgehoben in goldgefasstem Rahmen und derart verklärt: Ein sich nie schliessender Schluss oder ein der dringlichen Überprüfung anheimgegebener Widerspruch? Auch dies eine Grenzdiskussion -­‐ wo fängt der Mensch an, inwiefern kann was an oder in uns als tierisch bezeichnet werden. Die Schrift geformt mit dem weithin als Bindeglied geltenden Haar -­‐ Haarentfernung bedeutet gänzliches verschwinden lassen des animalischen Felles -­‐ versponnen zu Garn von einer menschlichen Hand, die den Dreh raus hat, will heissen kultiviert ist.

Hätte der Mädchenhaarbaum Blumen, trüg’ er sie blond – das leuchtet ein, scheint mir plausibel, wäre da nicht die gleichzeitig darin angelegte mehrfache kaskadenartige Rutschpartie holterdipolter zurück auf den von mir begangenen realen Boden der Tatsachen – und, weil’s so schön war, gleich noch mal von vorne!

Ein Zimmer gefüllt mit erspielten Objekten und Zeichnungen führt uns nah heran an den Einfall, den glücklichen Moment des Erhaschens und Aufschnappens. Launige Schwirrflieger bevölkern den Luftraum der Grenzzone, bleiben beneidenswert unbeirrt vom Gewicht der sie umflutenden Fragen.

Grosse, als Frisuren lesbare Zeichnungen entwickeln eine monumentale plastische Präsenz, gebaut aus haarfeinen Linien – Frisuren, ja, aber auch gleichzeitig Landschaften geprägt durch die Dauer ihrer Entstehung, vielleicht eher schon dichte Planeten.

Angrenzend mittelgrosse Zeichnungen: Keine Orte der Erinnerung, sondern ins Hier geholte, sichtbar gemachte Jenseitigkeit. Aus dem Innern heraus auf dem Weg nach aussen sich zu Orten verdichtende Bilder, von der Geste zur Handhabung des Griffels sichtbar gemacht auf der Oberfläche, eingefangen auf dem Papierfasergewebe.

Objekte flach durch Licht, als Schatten oder im harten Gegenlicht. Auf oder hinter dem Liniengewebe, welches die Blattoberfläche betont und gleichzeitig verschliesst. Diesseitige Realität reduziert auf die dünne zweidimensionale Schicht dieser Projektionsfläche, von uns akzeptiert als Bildträger, Sickergrund und Fangnetz.

Gefangensein in der Begrenzheit des Bildes? Oder Ausdruck von Hoffnung: Lass es uns von Grund auf beginnen, immer wieder, mit den Möglichkeiten des Gegebenen. Lass uns Freude daran finden, wie es gezeigt ist.

 

2014