Vexierbilder für alle Tage
Text von Marco Meier
Subtil fügt die Künstlerin Monika Feucht dem Genderdiskurs seit Jahren eine sinnlich vertrakte, weibliche Stimme hinzu.
Man könnte die Kunst vonMonika Feucht auch leise nennen, auf jeden Fall entfaltet sie ihre spezifische Kraft nicht durch grosse Gesten und Lautstärke. Mit bemerkenswerter Beiläufigkeit entwickelt die Künstlerin ihre Themen den Sensationen des Alltags entlang. Kein Gegenstand wäre ihr zu marginal, um nicht formal und inhaltlich befragt zu werden. Vor zehn Jahren wagte ich es in derWürdigung zu einer Einzelausstellung der Künstlerin, zwei ganz Grosse des Faches zu zitieren, nämlich Joseph Beuys und Meret Oppenheim. Das schien etwas hoch gegriffen. Die Leiterin der Galerie verdankte im Nachhinein die kleine Rede, schrieb mir aber unumwunden, dass sie die beiden Vergleiche, bei aller Wertschätzung für das Werk von Monika Feucht, doch eher unverhältnismässig fand. Sie hatte wohl recht, wenn hinter meinem Vergleich die Absicht gestanden hätte, damit die ausgestellten Arbeiten von Monika Feucht gewissermassen nobilitieren zu wollen. Wir hatten uns in der Folge noch verschiedentlich darüber unterhalten. Auch das ist eine Qualität der Kunst vonMonika Feucht, dass es sich lohnt, immer wieder neu über sie nachzudenken. Mir lag daran, die Denk- und Arbeitsweise, die materiale und thematische Haltung im Schaffen von Monika Feucht wirkungsgeschichtlich in einen Kontext zu setzen. Nicht mehr und nicht weniger. Der Kontext schien mir schon damals gegeben. Und er bestätigt sich heute erst recht. Aus heutiger Sicht würde ich die Kritik in umgekehrter Richtung formulieren. Die Bedeutung der KünstlerinMonika Feucht und ihres Schaffens wird bis heute unterschätzt – jedenfalls in den gesicherten Regionen der künstlerischen Rezeption.
War es bei ihr zu Hause, im Atelier oder in einer anderen Ausstellung? Es lag ganz hinten in einer Ecke, von skulpturaler Würde, regungslos, aber irgendwie bewegend. Es war ein Objekt, das mich zuerst als Tier ansprang, als eine taktile Erinnerung an meine Kindheit. Eine übergrosse Raupe war das, die haarige Larve des Arctia caja, des Schmetterlings Brauner Bär im Zwischenstadium des Engerlings. Dann stand ich davor. Die Schmetterlingsraupe war ein ganz profanes Stück
Schaumgummi, die grau-grüne Matratze eines Kinderbettchens, aus dem in regelmässigen Abständen und gleicher Länge feiner schwarzer Draht herausschaut. Haare oder Stacheln? Die Zärtlichkeit der ersten Annäherung wollte noch am Bild der Haare festhalten, dann las ich aber den Titel des Objekts von Monika Feucht: Ich versprach Dir nie einen Rosengarten. Plötzlich weitete sich der Horizont der Deutung, neigte, sich zu verdunkeln. Die Künstlerin hatte für diese Arbeit gerade den Kunstpreis der Stadt Augsburg bekommen. «Das Objekt überzeugt durch einen fruchtbaren Kontrast zwischen Titel der Arbeit und dessen ästhetischer Umsetzung. Mit einfachsten künstlerischen Mitteln entsteht hier eine geschlossene Form, die sich aber nicht auf die konkreten Bezüge festlegen will. Der Betrachter wird durch die ambivalent-anthropomorphe Oberfläche irritiert und zu weiterer Auseinandersetzung mit demThema stimuliert.» (Aus demBericht der Jury) Der Preis ging damals zum ersten Mal an eine Schweizer Künstlerin.
Das Objekt ist für die gestalterische Haltung der Künstlerin Monika Feucht tatsächlich beispielhaft. Ikonografisch wird man von vielen ihrer Werke vorerst auf geradezu verführerische Art in Bann gezogen, assoziiert im weiten Feld des eigenen bildnerischen und erzählerischen Gedächtnisraums meist durchaus freundliche und heitere Erinnerungen, geht in der Folge gelassen und neugierig auf die vermeintlich vertrauten Gegenstände zu und sieht sich dann plötzlich schroff und unerbittlich mit Umdeutungen und Irritationen konfrontiert, wie sie in der ersten Anmutung nur bedingt oder gar nicht lesbar wurden. Alle ihreWerke evozieren derart – auf je andere Weise – semiotische Übersetzungen und Ausweitungen. Der in den achziger Jahren vom New Yorker Künstler Lucio Pozzi eingeführte Begriff der «kapillaren Transaktion» kommt in Monika Feuchts Arbeiten auf eine gleicher Weise subtile wie schonungslose Art zur Anwendung. Dadurch angelegte perspektivenwechsel fordern die Betrachter sprichwörtlich mit Haut und Haaren. All ihre Zeichnungen und Objekte bedienen das Vokabular eines raffinierten Hinterhalts. Lesbarkeit und Erkennbarkeit sind ihren Arbeiten nur als Täuschung eigen, obwohl sie allesamt thematisch und materiell um den Mikrokosmos ganz alltäglicher Verrichtungen kreisen. Mit Bürsten, Kämmen, Nadelkissen und sogar Monatsbinden und Tampons bevölkert Monika Feucht bildnerisch den Interpretationsraumihrer Kunst. Und immer wieder Haare, wallend, fallend, fliessend, verklebt, zerzaust, kapillar eben, alles Metaphern einer Welt als System kommunikativer Verbindungen.
Darin steckt eine elementare Geste des Schaffens von Monika Feucht. In der noch so marginalen und scheinbar bedeutungslosen Handlung täglicher Lebensbewältigung ortet sie die Dringlichkeit des Grossen und Ganzen, wie es uns im Zeitalter des kommunikativenWeltverbunds atemlos fordert und überfordert. Die Künstlerin zerlegt das Puzzle der globalen Verständigung bis ins kleinste Einzelstück unseres seelischen Nähkästchens. Bedeutungen werden zwingend und verständlich, auch wenn sie in der kleinmassstäblichen Dimension des häuslichen Kosmos aufscheinen. Das ist die überwältigende Redlichkeit dieses bildnerischen Schaffens. Und darin werden auch Positionen eines Joseph Beuys und einer Meret Oppenheim neu verständlich, die beide auf ihre Art die Forderung stellten, die Kreativität in alle Lebensbereiche einfliessen zu lassen. Die Grösse und Wirkung eines Werkes löst sich hier vollständig vom Anspruch der spektakulären Dimension und Materialität. Die Sprengkraft dieser Kunst verbirgt sich hinter dem zarten Gewand vertrauter Anmutung. EinstmalteMonika Feucht imgrossen Format, kräftige Farben, starker Strich, Bilder einer präzis strukturierten Natur, Raster unsererWahrnehmung, nie wirklich gegenständlich und nie ganz abstrakt. Das war in den achziger Jahren. Dann wurde sieMutter. Eine fünfköpfige Familie ist man mittlerweilen. Damit setzte sich auch im künstlerischen Schaffen von Monika Feucht eine neue Wahrnehmung durch. Ihr Zugriff zur Wirklichkeit wurde in der Folge unverschämt weiblich. Die ausladende malerische Geste erfuhr eine radikale Relativierung durch den fragmentierten Alltag in Beruf und Familie.
Monika Feucht begann sich mit Verve und Schalk im Tohuwabohu alltäglichster Verrichtungen nach kleinen und kleinsten Objekten der Begierde umzuschauen. Sie hat Resträume und Nischen der Fantasie freigelegt, wo sie niemand vermutet, verlangte dem noch so hinfälligen Gegenstand gestalterisch unablässig neue Bedeutungen ab. Damit gab die Künstlerin ihrem Schaffen einen viel direkteren und unmittelbaren Sitz im Leben. Alles kam in den Fokus ihrer möglichen Umdeutung. In gewisser Weise birgt ihre Arbeits- und Sichtweise auch die durchaus politische Aufforderung, in der vertrauten Welt der gewohnten Ordnung unablässig mit gestalterischer Wachsamkeit unterwegs zu sein. Alles enthält hinter der ersten Lesbarkeit noch einen weiten Horizont der Interpretation und der möglichen fantastischen Befreiung vom Zwang der verordneten Normalität.
Begleitend zu ihrem plastischen Schaffen hat Monika Feucht ihr Leben lang gezeichnet. Die Bleistiftzeichnungen ergeben im Überblick so etwas wie einen grossen Kommentar zu ihrem Schaffen. Oft sind es zarte Skizzen, die den Objekten wie voraus- und nachtastend folgen. Über die letzten Jahre ist zeichnerisch allerdings eine Werkgruppe am Entstehen, die geradezu akribisch und mit fast schon manischer Beharrlichkeit einer neuen Figürlichkeit und Gegenständlichkeit nachspürt. Einmal mehr wechselt die Künstlerin hier grundsätzlich ihren Blick auf die Welt, nimmt im Ansatz aber auch dieWahrnehmung wieder auf, die sie in den achziger Jahren in ihrer Malerei verfolgte. Ob sie nun ein Hasenfell, feingliedrige Pflanzen oder die haarigen Hinterköpfe von Menschen zeichnet, immer sind es Texturen und Strukturen unseres Alltags, die hier in Übergrösse festgehalten werden. Im zeichnerischen Spiel mit den Proportionen relativiert Monika Feucht auch mit diesen Arbeiten unseren gewohnten Umgang mit den Grössenordnungen der Wahrnehmung. Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn geraten in ein ungefähres Flattern. Die Umdeutung nimmt ihren Lauf. Rosarote Schaustoffreste verwandeln sich in erotische Körperlandschaften, Backpapiere bilden in monochromen Brauntönen geheimnisvolle Kontinente ab und auf Hinterköpfen werden Strukturen noch nie gesehener Welten sichtbar. Vexierbilder für alle Tag sind dieseWerke allesamt und behüten uns listig vor falschen Gewissheiten.
Luzern, 11. Mai 2008, Marco Meier